2.4.2.5   Van-der-Waals-Kräfte durch plastische Verformung

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

Neben den beschriebenen Van der Waals Kräften treten zusätzliche Van der Waals Kräfte dann auf, wenn durch Kräfte, die an den Kontaktpunkten der Partikel übertragen werden, plastische Deformationen der Kontaktpunkte auftreten [102]. Die Deformationen an den Kontaktpunkten werden durch Kräfte verursacht, die sich aus Haftkräften auf grund von z.B. Adsorptionsfilmen, Flüssigkeitsbrücken und Van der Waals Kräften sowie aus externen Kräften durch Auflasten zusammensetzen [88].

Die Haftkraftverstärkung, die von plastischen Deformationen im Kontaktbereich ausgeht, wird auf Umordnungen und Verformungen sehr kleiner Rauhigkeitserhebungen im Nano meterbereich zurückgeführt. Beides trägt dazu bei, den wirksamen Abstand der Haft partner zu verringern, was zu einer Verstärkung der Adhäsionskräfte führt. Bei stärkerer Anpressung können auch größerer Bereiche der Kontaktzone plastisch verformt werden. DieHaftkraftverstärkung ergibt sich aus der zusätzlichen Wirkung des Van der Waals Druckesder verformten Kontaktflächen [87]. Abbildung 67 zeigt eine durch Deformation vergrößerte Kontaktfläche. Dadurch ist die Fläche, über die der mikroplastische Fließdruck wirkt, deutlich größer, und dadurch auch die absolute Haftkraft in diesem Kontakt.

Abbildung 67: Abplattung und Druckverlauf im Bereich der Kontaktfläche einer Kugel bei
a) rein plastischer und b) elastisch plastischer Verformung [97]

Mit der Vereinfachung, dass die Intensität der Haftkraft nur von den Komponenten der Kontaktkräfte normal zur Partikeloberfläche abhängt, gilt für die zusätzlichen Van der Waals Kräfte aufgrund plastischer Verformungen der Kontaktpunkte der Haftpartner [97]:

Auch hierbei wird die kombinierte Hamaker-Konstante verwendet, sobald der Kontakt in Anwesenheit von Wasser stattfindet.

Der mikroplastische Fließdruck pf ist nach [107] gleichbedeutend mit der mikroskopi schen Materialhärte HV ermittelt mit dem Messverfahren nach Vickers. Diese beträgt für Kalkstein HV = 500 N/mm2. Für nicht hydratisierten Zement ist pfnicht bekannt, weil das Messverfahren nach Vickers, bei dem die Länge eines Diamanteindruckes in eine Oberfläche gemessen wird, an einzelnen Zementkörnern nicht angewendet werden kann. Jedoch wurde mit dem Verfahren nach Vickers die Mikrohärte an Beton gemessen [108]. Sie liegt für die Rezeptur mit dem höchsten untersuchten Zementgehalt von 370 kg/m3 und dem niedrigstem w/z Wert von 0,40 bei HV = 732 N/mm2.

Abbildung 68: Mikrohärte an unterschiedlichen Betonzusammensetzungen, Darstellung
zusammengefasst nach [108].

Für nichthydratisierten Zement wird pf vermutlich noch höher sein, wohingegen bei den Reaktionsphasen mit Wasser, die innerhalb der ersten Minuten bereits auftreten, die mikroskopische Materialhärte deutlich geringer sein wird. Zum Vergleich beträgt die Mikrohärte für Feldspat 792 N/mm2 (ist mit der Stahlfeile ritzbar), wohingegen Talk bei 2,4 N/mm2 liegt (ist mit dem Fingernagel schabbar) [17].

Als Beispiel wird die zusätzliche, plastische Van der Waals Kraft berechnet unter der An nahme einer Mikrohärte von 732 N/mm2(≙ 7,32*10-04 N/µm2) und einer Mikrohärte von 2,4 N/mm2an dem bereits bekannten Beispiel ((Kontakt von zwei Kugelpartikeln gleichen Materials, Zement, mit den Durchmessern 1 µm (=D2) und 10 µm (=D1), minimaler Kontaktabstand von 0,4 nm (≙ 0,0004 µm)).

Dabei werden entsprechend der bereits berechneten Beispiele die ermittelten Kräfte aus Adsorptionsschichten, Flüssigkeitsbrücken und Van der Waals Kräften, jeweils für den Kontaktabstand 0,0004 µm berechnet und addiert zur wirkenden Gesamthaftkraft des Partikelkontaktes:

Somit ist der plastische Anteil zusätzlicher Van-der-Waals-Kräfte 3,5 mal höher als die Van-der Waals Kraft.Tabelle 5 enthält die Anteile der einzelnen Kraftarten an der Gesamt kraft des Beispieles:

Tabelle 5: Anteile der einzelnen Kraftmechanismen für zwei ideal glatte, runde Zementpartikel mit 10µm und 1µm Durchmesser und einem Wasserfilm von jeweils 0,03µm.

Das Beispiel zeigt den bedeutenden Effekt der Haftkraftverstärkung durch plastische Verformungen an Partikeln, die in gegenseitigem Kontakt miteinander stehen. Die Verformungen aufgrund unterschiedlicher Mikrohärte wirken sich unmittelbar lediglich auf die Kraftart Van der Waal plastisch aus, siehe Formel 31. Alle anderen Kraftarten bleiben in ihrer absoluten Größe unverändert. Der in Tabelle 5 enthaltene Vergleich einer harten (Feldspat) mit einer weichen (Talk) Mikrohärte zeigt, dass sich die Gesamthaftkraft erhöht, sie ist bei weicher Mikrohärte 14,8 malhöher als bei harter Mikrohärte. Auch die prozentualen Anteile der einzelnen Kraftkomponenten verschieben sich, bei weicher Mikrohärte dominiert die plastische Vander Waals Kraft , Kräfte aus der Flüssigkeitsbrücke und den Adsorptionsfilmen verlieren ihrgegenüber an Bedeutung. Durch eine weichere Oberfläche ist die Derformation der Partikel, die durch die Haftkräfte aneinander gedrückt werden, größer, dadurch vergrößert sich die gesamte Kontaktfläche. Die Haftkräfte werden über die Kontaktfläche übertragen, daher bewirkt eine Vergrößerung der Kontaktfläche eine Erhöhung der Haftkräfte. Das Ergebnis aus diesem Beispiel, einer Erhöhung der Haftkräfte bei weichen Oberflächen, stimmt mit den Erläuterungen zu Abbildung 67 überein und ist somit plausibel. Die Gewichtskraft beider Partikel ist zum Vergleich angegeben, sie ist in beiden Fällen deutlich geringer als die Gesamthaftkraft.

Außerdem führt die Deformation der Partikel noch zu einer Zunahme der Kontaktgeometrien für die Adsorptionsfilme und die Flüssigkeitsbrücken, so dass auch diese Kraftanteile durch die Defor mation der Partikel eine weitere Verstärkung erfahren. Diese zusätzlichen Anteile sind an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Jedoch sind in Abbildung 69 plastisch verformte Kontaktflä chen als negativer Abstand dargestellt um die Auswirkung der Deformation zu veran schaulichen.

Abbildung 69: Bezogenen Haftkraft einer Flüssigkeitsbrücke zwischen zwei Kugeln, ergänzt um negative Abstände als Modell für verformte Kontaktflächen [87]

Dabei nimmt die bezogene Haftkraft insbesondere für kleine Brückenvolumina weiter deutlich zu und liegt über den Werten bei normaler Berührung mit Abstand a=0. So ge sehen verstärkt sich zunächst die Van der Waals Kraft aufgrund von plastischen Verfor mungen durch Kräfte aus Flüssigkeitsbrücken, die gleichzeitig noch einmal durch die auftretenden Verformungen eine Verstärkung erfahren.

Die Rechnung ist mit mehreren Unsicherheiten behaftet. So wurden hier die Partikel durchmesser eingesetzt, wenngleich auch bei Partikeln kleiner gleich 1 µm stattdessen die Höhe der Oberflächenrauhigkeiten verwendet werden sollte. Dies würde zu einer gering fügigen Verringerung von lediglich den Van der Waals Kräften führen, was somit keinen großen Einfluss auf die Höhe der plastischen Kraftkomponente hat, da ihr Anteil an der auslösenden Kraft gering ist. Andererseits ist die Mikrohärte der frischen Hydratations-produkte vermutlich näher an der Größe von Talk als an der von Feldspat. Unter dieser Annahme verlagern sich die prozentualen Anteile gravierend und die Komponente der plastischen Van der Waals Kräfte ist dominierend mit über 93 %. Dies ist umso bemer kenswerter, als dass sie ausgelöst wird durch die vorhandenen Kräfte, die dann in der absoluten Größe deutlich hinter die plastischen Van der Waals Kräfte zurückfallen. In dieser Größenordnung führt das Auftreten der hohen plastischen Haftkraftanteile zu einer weiteren Verstärkung im Sinne der Theorie zweiter Ordnung.

Auch ohne die ersten Hydratationsprodukte können bereits alleine Adsorptionsschichten von Wasser auf den Oberflächen der Partikel die Oberflächenhärte (und damit den plasti schen Fließdruck, also die Mikrohärte) vermindern und so die Verformbarkeit der Oberflä chen begünstigen [88].

Wenn zusätzlich noch äußere Kräfte auf die Partikel einwirken, wie es bei den verwende ten Auflasten während der Verarbeitung erdfeuchter Betone im industriellen Rüttelpress verfahren der Fall ist, dann wird dadurch eine zusätzliche Verstärkung erzeugt.

Die Gesamtabplattung h beider Haftpartner kann nach Molerus [102] berechnet werden zu

Für die in Tabelle 5 enthaltenen zwei Fälle beträgt h= 0,7 nm bei einer Mikrohärte von 732 N/mm2bzw. h = 0,21 µm bei der sehr weichen Härte von 2,4 N/mm2.

Mit dieser Verformung können dann erneut die Berechnungen der Adsorptions und Brü ckenkräfte vorgenommen werden.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

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