4.1.3   Zugversuche an trockenen Ausgangsstoffen

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

In Kap. 2.3.3 (Abbildung 36) wurde die von Bornemann [22] aufgestellte Schlussfolgerung erläutert, dass zurückgetrocknete Kalkstein-Feststoffsuspensionen eine höhere Festigkeit haben als feuchte, und daher die Kapillarkräfte keine Rolle spielen bei dem Kräftesystem erdfeuchter Betone. Um dies zu überprüfen, wurden an den trockenen, verwendeten Ausgangsstoffen Zugversuche ohne Zugabe von Wasser durchgeführt. Die Vorgehensweise der Probenvorbereitung und Verdichtung erfolgte dabei wie in Kap. 3 beschrieben. Außerdem soll überprüft werden, ob damit der Anteil der Kräfte, die nicht auf der Wirkung von Adsorptions oder Zwickelwasser beruhen, d.h. die durch Van der Waals Kräfte übertragen werden, ermittelt werden kann. Ebenso der Anteil der sog. Interlocking Kräfte durch mechanische Verzahnung, Verdrehung und Anhebung der Partikel während des Lastweges, deren Anteil erst bei höheren Wegen aktiviert wird.

Abbildung 107: trockener Zement nach dem Zugversuch, links hängend ohne
Entleerung, rechts: oberes Teilstück mit erkennbarem Bruchbild

Abbildung 108: trockener Zement nach dem Zugversuch, unteres Teilstück: erkennbarer Zusammenhalt der einzelnen Partikel in größeren Agglomeraten

Die Abbildung 107 und Abbildung 108 zeigen den Bruchquerschnitt einer Zementprobe CEM I 42,5 R. Auch in hängendem Zustand verharrt der trocken verdichtete Zement im oberen Probekörper ohne herauszurieseln oder stückweise herauszufallen. Das Relief des Bruchverlaufes im Bruchquerschnitt, der Höhenunterschied, betrug punktuell bis zu 6 mm.

Nach der Durchführung der Versuche war auffällig, dass alle drei Zemente sehr stark in beiden Probekörperhälften verfestigt waren, und ein Reinigen nur durch stocherndes Lösen mit einem Schraubendreher möglich war. Demgegenüber reichte es bei Flugasche und Metacaolin aus, gegen den Versuchskörper zu klopfen, und das Probegut rieselte eigenständig heraus. Siliziumcarbid verhielt sich bei dieser Beobachtung vergleichbar wie Zement. Mikrosilika wurde nicht trocken untersucht, weil die in den Hauptversuchen verwendeten Bestände zwischenzeitlich aufgebraucht wurden und eine Rückstellprobe in ausreichender Menge nicht zur Verfügung stand.

Die Messwertaufnahme wurde im Vergleich zu den Hauptversuchen von 10 auf 40 Werte/Sekunde erhöht, da bereits im Vorfeld ein sehr sprödes und daher schnelles Bruchverhalten vermutet wurde. Dabei wurde zunächst die Belastungsgeschwindigkeit aus den Hauptversuchen mit 3 mm/sec. beibehalten.

Alle Versuchen gemeinsam war der geringe Verdichtungsgrad, der bei ermittelten Dichten von 1,74 bzw. 1,81 kg/dm3 bei 0,56 bzw. 0,58 lag. Dennoch ließ sich der Zement auch in trockenem Zustand durch die angewendete schlagende Verdichtung umlagern und nahm eine dichtere Packung an als unmittelbar nach dem Einfüllen, wie auch die Abbildung 107 und Abbildung 108 den sehr kompakten Zustand darstellen. Der Verdichtungsgrad VR stellt die Packungsdichte der trockenen, verdichteten Probekörper im Vergleich zur Rohdichte dar. Im Allgemeinen wird die lose Schüttdichte von Zement mit 1,30 1,45 kg/dm3 angegeben [138]. Gegenüber der losen Schüttdichte nahmen die Proben im Mittel eine ca. 30% höhere Packungsdichte ein, dargestellt als VS. Auch für die weiteren verwendeten Stoffe trifft dies zu, eine Übersicht ist in Tabelle 6 wiedergegeben. Hierfür wurde auf die Ermittlung der Schüttdichten der verwendeten Stoffe durch Versuche verzichtet, die wiedergegebenen Werte beziehen sich auf Mittelwerte der Stoffe aus der Literatur [138].

Tabelle 6: mittlere Verdichtungsgrade der trockenen Ausgangsstoffe bezogen auf die Rohdichte und auf die Schüttdichte der jeweiligen Stoffe

Auffällig ist, dass Flugasche, Siliciumcarbid und Metakaolin deutlich höhere Verdichtungsgrade bezogen auf die Schüttdichte aufwiesen als die drei Zemente. Insbesondere Flugasche mit ca. 300 % oberhalb der Schüttdichte ist sehr auffällig. Dieser Effekt kann dadurch bedingt sein, dass Flugaschepartikel durch ihre kugelige Gestalt während der Verdichtung leichter aneinander vorbei gleiten in freie Hohlräume hinein, ohne zu blockieren. Ein plastisches Verformen, das mit verstärkten Van Der Waals Haftkräften einhergeht, kann ausgeschlossen werden, weil insbesondere die Flugasche beim Reinigen der Probekörper bereits durch leichtes Klopfen an den Wandungen entfernt werden konnte, ohne in Klumpen oder kleineren oder größeren Agglomeraten herauszufallen, wohingegen die Zemente und auch Siliciumcarbid durch Stochern mit einem Schraubendreher entfernt werden mussten und dabei jeweils ca. erbsengroße Agglomerate beibehalten wurden.

Abbildung 109: Zugversuche (01, 02, 03) an trockenem Zement CEM I 42,5 R, v = Verdichtungsgrad

Bei den drei durchgeführten Versuchen in Abbildung 109 zeigte sich, dass grundsätzlich ein Zugdehnungsverhalten des trockenen Zementes gemessen werden konnte, jedoch wurden nur wenige Messwerte aufgenommen, bevor der Abriss des oberen Probeteils erfolgte und dessen Masse als Eigengewichtskraft konstant als Messwert angezeigt wurde, in Abbildung 109 ab 0,375 mm Weg. Damit bei den sehr geringen Zugwegen mehr Messwerte gewonnen werden konnten, wurde die Belastungsgeschwindigkeit bei den folgenden Versuchen deutlich reduziert auf 0,375 mm/s, entsprechend einer Kurbelumdrehung in acht Sekunden des mechanischen Versuchsstandes. Hierbei muss darauf hingewiesen werden, dass damit Wege widergegeben werden, die so klein sind, dass die manuelle Genauigkeit der Prüfgeschwindigkeit durch Kurbeln an die reproduzierbaren Grenzen der Genauigkeit gelangt.

Bei der Probe mit dem geringeren Verdichtungsgrad wurde das Eigengewicht deutlich eher erreicht als bei den beiden anderen Kurven. Der geringfügige Anstieg der blau gestrichelten Linie im hinteren Bereich ist auf Störeinflüsse während der Prüfung in Form von geringfügigen Pendelbewegungen des oberen Probekörpers zurückzuführen. Eine Erklärung der Kurvenverläufe im Allgemeinen liefern die Kurven 1 und 2 in Abbildung 110. Bei Kurve 2 wurden die beiden noch gefüllten Probekörperhälften aus dem dritten Versuch der Abbildung 109 (grüne Kurve mit Dreiecken) erneut und in der ursprünglichen Orientierung übereinander aufgestellt(ohne neue Verdichtung),und der Zugversuch durchgeführt. Anschließend wurde für den Versuch der Kurve 1 aus beiden Probekörperhälften soviel Zement entfernt, dass der verbleibende Zement keinen Kontakt beim erneuten Aufeinandersetzen der Probekörperhälften bekommen konnte. Entsprechend ist bei Kurve 1 zu erkennen, dass bereits der erste Messwert, aufgenommen bei 0,01 mm Weg, die Gewichtskraft der oberen Probekörpermasse anzeigt. Demgegenüber verhält sich die Kurve 2 der bereits gerissenen Probe mit Zementkontakt deutlich anders. Obwohl die Probe bereits geprüft wurde und gerissen war, weist sie eine langsame Kraftsteigerung auf und erreicht die Eigengewichtskraft erst bei 0,07 mm Weg. Die Messwerte, die bis dahin gewonnen wurden, sind auf Kraftmechanismen wie Reibung, Verzahnung und Haftkräfte zurückzuführen, die sich bedingt durch den erneuten Zementkontakt, wieder eingestellt haben und die überwunden werden müssen, bevor die beiden Probehälften erneut den Kontakt verlieren und das Gewicht des oberen Teilabschnittes messtechnisch erfasst wird. Jedoch ist die Summe der Kraftmechanismen in der trockenen Zementprobe nicht größer als diese verbleibende Gewichtskraft. Ansonsten wäre die Kurve wie z.B. in Abbildung 128 ausgeprägt mit einem Maximum, von dem aus die Werte abfallen auf die verbleibende Gewichtskraft.

Abbildung 110: Zugversuche an trockenem Zement CEM I 42,5 R, v = Verdichtungsgrad; Vergleich von bereits gerissenen Proben und kleinem Probekörper oben mitnormaler Versuchsdurchführung

Weiterhin zeigte sich, dass bei der Verwendung eines kleineren oberen Probekörpers (grüne Kurve mit Dreiecken) die gemessenen Zugkräfte nicht mit denen bei einem großen, d.h. normalerweise verwendeten Probekörper, übereinstimmen. Hierbei wird der Bereich bis zum Erreichen der Eigengewichtskraft betrachtet, der sich in den Absolutwerten unterscheidet. Jedoch ist die relative Kraftentwicklung in diesem Bereich, bezogen auf die jeweilige Eigengewichtskraft, nahezu identisch, wie Abbildung 111 zeigt.

Abbildung 111: Darstellung der gemessenen Zugkraft im Verhältnis zur Gewichtskraft Go
des oberenProbekörpers als relative Zugkraft, Versuche identisch mit Abbildung 110

Die Prüfungen an trockenen Pulvern sind starken Schwankungsbreiten unterworfen, und sehr anfällig für Fehler während der Versuchsdurchführung. Abbildung 112 zeigt drei Versuche an CEM II/A LL 42,5 R, die sich in der Kurvenausprägung stark unterscheiden. Während bei Versuch 01 das Maximum der Zugkraft sogar oberhalb der Gewichtskraft lag, verhalten sich alle drei Kurven im ansteigenden Ast der Zugkraft sehr unterschiedlich, obwohl die Verdichtungsgrade nahezu gleich sind.

Der Versuch 02 mit CEM III schlug fehl, bereits der erste Messwert ergab das Eigengewicht. Bei diesem Versuch zeigte sich kurz vor Beginn, dass die beiden Halbschalen, mit der die beiden Probekörperhälften während der Verdichtung und des Transportes unter die Prüfeinrichtung zusammengehalten werden, unzureichend fixiert waren, eine der Schellen war locker, woraufhin es zu einer geringfügigen gegenseitigen Verdrehung beider Hälften vor Versuchsbeginn kam. Dennoch wurde die Probe geprüft, das Resultat ist identisch mit Kurve 1 in Abbildung 110, bei der kein Zementkontakt bestand. In diesem Fall wurde der Kontakt durch die bereits während der Verdichtung erfolgte, gegenseitige Verdrehung so stark gestört, dass durch den Zement keine Kräfte übertragen werden konnten.

Abbildung 112: Zugversuche an trockenen Zementen, v = Verdichtungsgrad

Abbildung 113: Zugversuche an trockenen Stoffen, v = Verdichtungsgrad

Als Ergebnis der trockenen Zugversuche konnte bestätigt werden, dass die Zugfestigkeit trockener Materialien wie Zement und Flugasche nicht größer ist als die der mit Wasser zu erdfeuchten Leimen angemischten Materialien. Mit der vorhandenen Versuchsapparatur konnten keine Kräfte gemessen werden, die über die Gewichtskraft des oberen Probekörperteiles hinaus gehen. Damit stehen die Ergebnisse im Widerspruch zu der Einschätzung von Bornemann [22], dass Reibung und Verzahnung die wesentlichen Kraftmechnismen ausmachen. Weil dort Rücktrocknungsversuche durchgeführt wurden, bis keine Feuchtigkeit mehr vorlag, können die Ergebnisse möglicherweise durch Rekristallisation/Ablagerung von Stoffen, die vor der Wasserzugabe an den Partikeloberflächen vorhanden waren, beeinflusst worden sein. Diese Stoffe können sich während der Rücktrocknung an den Partikelkontaktpunkten angesammelt haben, und dadurch die übertragenen Haftkräfte vergrößern bzw. eine der Sinterung ähnlichen, verstärkenden Effekt verursachen. Eine ph-Wert Bestimmung der hier verwendeten Flugasche, die mit Wasser angemischt wurde, ergab unmittelbar nach Wasserzugabe einen Wert von oberhalb 12,5. Damit bestätigt sich die in Kap. 2.3.4 formulierte Vermutung der Kalkrückstände.

Weiterhin zeigen die Kurvenverläufe der Messdaten, dass auch trockene Materialien im Stande sind, Haftkräfte zu übertragen. Da Kräfte aus Adsorptionsfilmen und aus Kapillarbrücken hierbei nicht in Frage kommen, weil kein Wasser vorhanden ist, bleiben hierfür Van der Waals Kräfte einschließlich ihrer plastischen Komponente, sowie Kräfte durch Reibung und Verzahnung möglich. Einige der Kurven weisen im linken Ast der Kraftzunahme Änderungen in der Steigung auf bei zunehmenden Wegen. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass eine Umverteilung bzw. Umlagerung der wirkenden Haftkraftmechnismen stattgefunden hat. So ist die Reichweite von plastischen und normalen Van der Waals Kräften geringer als die Reichweite, während der Reibungs und Verzahnungskräfte aktiviert werden. Diese sind nicht sofort vorhanden, sondern werden erst durch eine Verschiebung der Partikel voneinander weg, aktiviert. Sie benötigen also zunächst einenWeg, um auftreten zu können. Somit sind Kraftanteile bei sehr geringen Wegen eher den Van der Waals Kräften zuzuordnen, die dann bereits sehr rasch mit fortschreitend zunehmendem Weg ihre Wirkung verlieren.

Insgesamt zeigte sich jedoch, dass in den trockenen Materialien keine bzw. nur sehr geringe Haftkräfte vorhanden sind. Auch ist die verwendete Messtechnik für diese Bereiche nicht hinreichend sensibel genug, um sicher zu gehen, dass die Unterschiede in den Ausprägungen der Kurven nicht auf Schwankungen während der Versuchsdurchführung wie z.B. Justierung der Probekörper unter der Messzelle, Gefügestörungen während der Demontage der Transportsicherung , zurückzuführen sind.

Abschließend ist zu erwähnen, dass die Staubbelastung bei den durchgeführten, trockenen Versuchen erheblich war und daher überwiegend mit Staubmaske gearbeitet wurde. Auch beim Wiegen der gefüllten Probekörper verblieben trotz sorgfältigem Abfegen geringfügige Reste der pulverförmigen Materialien an den Außenseiten der Form, wodurch die gemessenen Gewichte eine Ungenauigkeit von ca. 10 g beinhalten, die jedoch die angegebenen Verdichtungsgrade nur geringfügig beeinflussen.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

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