2.1.1   Abgrenzung zu Selbstverdichtendem Beton (SVB)

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

Erdfeuchte Betone (EFB) werden seit mehr als Einhundert Jahren eingesetzt. Demgegenüber handelt es sich bei Selbstverdichtenden Betonen um eine verhältnismäßig junge Variante des Betons, sie werden in Europa seit Ende der neunziger Jahre in Fertigteilwerken und auf Baustellen als Transportbeton eingesetzt. Die bauaufsichtliche, zulässige Verwendbarkeit in Deutschland wurde jedoch erst mit erheblicher Verzögerung im Jahr 2004 mit der Einführung der damaligen Richtlinie für SVB [29] möglich. Der w/zWertebereich beider Betone ist identisch, er liegt in Bereichen von 0,30 bis 0,39. SVB wird z.T. auch mit w/zWerten bis 0,20 hergestellt. Das Größtkorn beträgt bei EFB und SVB in der Regel 16 mm. Unterschiede bestehen im Leimgehalt, der bei SVB ca. doppelt so hoch ist wie bei EFB.

Somit stellt ein extrem niedriger w/zWertbereich, wie er bei normalen Konsistenzen und Festigkeitsklassen ansonsten nicht eingesetzt wird, keine Möglichkeit mehr dar, eine erdfeuchte Betonrezeptur von einer selbstverdichtenden zu unterscheiden.

SVB wird hergestellt, indem einer Betonrezeptur mit sehr geringem Wassergehalt hochwirksame Fließmittel auf z.B. der Basis von Polycarboylatethylenen (PCE) zugegeben werden. Die darin enthaltenen Makromoleküle mit Haupt- und Nebenketten wirken auf das Abstoßungsverhalten der Feststoffpartikel und verhindern die Bildung von Agglomeraten. Gleichzeitig reduzieren sie die Dicke der Wasserschicht, die als starres Wasser um Partikel gebunden ist und die keine Relativbewegung zum Partikel als Haftpartner vollziehen kann.

Die Oberflächenspannung des adsorbierten Wassers an Festkörperpartikeln ist nach [30] sehr groß und liegt in einer Größenordnung von 196 kN/cm2.Es wird als Sorptionswasser bezeichnet. Die Dicke beträgt 1 bis 10 Moleküle, dieses Wasser kann durch normale hydrodynamische Kräfte nicht in Bewegung gebracht werden und verhält sich wie Eis, siehe Bereich 1 in Abbildung 6. In etwas größerer Entfernung von 0,5 µm(= 0,0005 mm, Bereich 2 gem. Abbildung 6) verhält sich das als aufgrund seiner geordneten Molekülstruktur als Solvationswasser bezeichnete Wasser vergleichsweise immer noch von der Konsistenz her wie ein viskoser Asphalt, seine Schichtdicke ist nicht größer als 200 Moleküle (auch als Hydrathülle infolge Hydratation bezeichnet, nicht gleichbedeutend mit Hydratisierung als chem. Zementreaktion). Erst danach werden die Eigenschaften des an Partikel gebundenen Wassers wieder denen des normalen Wassers gleich (freies Wasser, Bereich 3 Abbildung 6).Abbildung 6 stellt Änderung der Spannung in Abhängigkeit von der Entfernung grafisch dar:

Abbildung 6: Die Wechselwirkung molekularer Kräfte im
System Wasser Kornoberfläche nach [30]:
a) Ausrichtung von Wasserdipolen an der Kornoberfläche
b) Adsorption der Wassermoleküle in unmittelbarer Umgebung der Kornoberfläche
c) Größe der molekularen Kräfte in der Nähe der Kornoberfläche
1: adsorbiertes Wasser, 2: Solvationswasser, 3: freies Wasser

Durch die Belegung der Partikeloberflächen mit den verzweigten Makromolekülen der PCE Fließmittel bei SVB steht innerhalb der gesamten Feststoffmatrix des Frischbetons wesentlich mehr bewegliches Wasser zur Verfügung als bei EFB Systemen. Die beschriebene Beweglichkeitseinschränkung der Wasserfilme ist eine der Ursachen dafür, warum feuchte Partikelgemische wie z.B. erdfeuchte Betone unter Einsatz erheblicher Verdichtungsenergie eine Form annehmen können, die sie nach Beendigung des Energieeintrages auch noch beibehalten. Die starren Wasserfilme des Solvationswassers lösen sich vorübergehend und begünstigen ein Umlagern und Verdichten der Matrix.

Durch die Verwendung von hochwirksamen Fließmitteln können auch in sehr niedrigen w/z Wert Bereichen fließfähige und auch selbstverdichtende Betone hergestellt werden. Hierfür stehen hinreichend viele Untersuchungsmethoden zur Verfügung, die über Anwendungen in der Forschung, für die das Rheometer geeignet ist, bis hin zur praxisorientierten Versuchen wie Trichterauslaufzeit und dem Setzfließmaß reichen.

Für die Untersuchung von EF Leimen ist bislang kein geeignetes Prüfverfahren bekannt, mit dem Rückschlüsse auf die Verarbeitbarkeit während der sofortigen Entschalung getroffen werden könnten. Hierzu zählen auch grundlegende Kenntnisse darüber, welchen Einfluss Zemente und Zusatzstoffe auf die Haftkräfte und die Verformungen dieser Leime ausüben.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

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