4.2.3   Leime aus unterschiedlichen Zementen

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

Die verwendeten Zemente unterscheiden sich in ihrer Oberfläche, im reaktiven Klinkeranteil und in den während des Mahlvorganges im Zementwerk zugegebenen Stoffen Kalksteinmehl und Hüttensand.

Abbildung 125: Zugdehnungen von CEM I 42,5 R

Am Beispiel von Abbildung 125ist erkennbar, dass unterschiedliche w/f Werte zu unterschiedlichen Ausprägungen der Zug Dehnungsverläufe führen.

Der w/f Wert von 0,21 zeigt einen sehr steilen Anstieg, bei geringen Dehnungen werden bereits große Kräfte aufgenommen. Nach Überschreiten des Maximums ist eine Resttragfähigkeit vorhanden, die in etwa symmetrisch zum Lastanstieg abnimmt.

Demgegenüber ist bei w/f = 0,25 nach einem zügigen Lastanstieg keine Zunahme erkennbar. Ein deutlich definierter Bruch mit anschließendem Kraftabfall stellt sich nicht ein, es findet ein Abriss der oberen Probenhälfte bereits beim Erreichen ihres Eigengewichtes statt. Hier ist so viel Wasser in der Leimmischung enthalten, dass der Abstand der Partikel untereinander größer ist als die sehr kurze Reichweite der van der Waals Kräfte.Diese größeren Flüssigkeitsbrücken können sich unter dem Einfluss äußerer Zugkräfte stärker dehnen, jedoch nehmen sie dabei geringere Zugkräfte auf und der Abriss tritt bei geringer Kraft früher ein.Weil die Oberfläche im Leim sehr gering ist, liegen je Flächeneinheit auch weniger Partikelkontakte vor, zwischen denen die einzelnen Zugkräfte der gedehnten Flüssigkeitsbrücken wirksam werden können. Somit wird in der Summe nur eine geringe Zugkraft übertragen, es erfolgt der Abriss bei Überschreitung des Eigengewichtes der oberen Probekörpervorrichtung.

Der Verlauf w/f = 0,23 weist bei größerem Zugweg ein Maximum auf. Ebenso ist der Anstieg weniger stetig als bei w/f = 0,21. Dieser ansteigende Ast deutet darauf hin, dass während der Belastung Umlagerungen der kraftübertragenden Mechanismen stattfinden, hierzu zählt auch die Wirkung der Dilatation, d.h. der physischen Verzahnungswirkung der Partikel, die der Dehnrichtung durch Verdrehung folgen. Auch können lokale, strukturelle Defizite im Leim vorhanden sein, die Änderungen im Anstieg der Zugkraft verursachen. Bei w/f = 0,21 und 0,23 finden mit Zunahme der Zugkraft Veränderungen beim Anstieg, d.h. Wechsel der Steigung statt.

Insgesamt zeigen sich bei der Auswertung aller Versuche Unterschiede in den Verläufen der Zugdehnungen, wie sie exemplarisch anhand von Abbildung 125 zu erkennen sind.

Abbildung 126: Zugdehnungen von CEM II/A LL 42,5 R

In Abbildung 126 weist der Leim mit CEM II bei w/f Werten 0,23 und 0,25 deutlich flachere Anstiege der Zugfestigkeit auf als bei 0,21. Bedingt durch die Zunahme an Wasser im Leim reduziert sich die für Bindungskräfte zur Verfügung stehende Partikeloberfläche OL je Gramm Leim von 5794 auf 5700 bzw. 5609 cm2/g.

Die Geometrie der beiden Kurven w/z = 0,23 und w/z = 0,25 unterscheidet sich erheblich von der w/z = 0,21 Kurve. Hier ist das Maximum der Zugkraft sehr ausgeprägt, es erfolgt danach ein starker Abfall und die Kurve konvergiert nach ca. 6 mm gegen das Eigengewicht der oberen, losgelösten Probekörpereinrichtung samt Leim.

Je weiter der Wassergehalt steigt, desto geringer ausgeprägt fällt das Zugkraftmaximum aus und desto höher werden die Wege. Generell muss davon ausgegangen werden, dass es sich nicht alleine um Dehnungen innerhalb der Leimmatrix handelt, sondern auch eine Relativbewegung, d.h. ein Gleiten des Leimkörpers entlang der Wandungen der Hüllrohre, handelt. Dieser Effekt tritt mit zunehmendem Wassergehalt immer stärker in den Vordergrund.

Übertragen auf die Praxisanwendung bei sofortiger Entschalung handelt es sich hierbei um Leime, die an der Schalung haften bleiben können, sobald diese nach oben weggleitet, weil sich eine Haftkraft zwischen Leim und Schalung ausbildet, die höher ist als die Kraft innerhalb der Leimmatrix. Die gemessene Kraft stellt sich nicht an der Sollbruchstelle ein, sondern entlang der Mantelreibung zwischen den beiden Schalkörpern und dem Leim. Ein Bruch kann nicht stattfinden, da die Zugkraft sich umlagert und bei hohen Wegen oberhalb von 3 mm immer noch weiter zunimmt. Erst bei mehr als 4 mm beginnt sie, langsam zu sinken.

Abbildung 127: Zugdehnungen von Zement CEM III/A 42,5 R

In Abbildung 127 weisen die Kurven mit w/f = 0,20 und 0,21 ausgeprägte Maxima auf, im Vergleich zur Kurve mit w/f = 0,23.Die Höhe der Maxima unterscheidet sich deutlich, wohingegen der zugehörige Weg identisch ist.Der steilere Anstieg bei w/f = 0,20 spricht für die frühe Aktivierung von Haftkräften kurzer Reichweite, doch ist die Mischung so trocken, dass für ausgeprägte Flüssigkeitsbrücken zu wenig Wasser zur Verfügung steht und daher ein frühes Versagen bei kurzen Wegen auftritt.

Abbildung 128 stellt von allen drei Zementen jeweils die Kurven mit w/f = 0,21 vergleichend gegenüber. Der Zement mit der geringsten Oberfläche im Leim erzielt die höchste Zugkraft, ebenso weist er als CEM I den höchsten Klinkergehalt auf. Der direkte Vergleich in Abbildung 128 zeigt, dass der Einfluss der Gesamtoberfläche, über die die Summe der Haftkräfte ausgebildet wird, geringer ist als der Einfluss des Klinkergehaltes, da der Zement mit dem geringsten Klinkergehalt (CEM III) auch die geringste Zugkraft aufweist.

Der Zement CEM I besteht vollständig aus reaktiven Klinkerpartikeln, er reagiert unmittelbar und am schnellsten von den drei dargestellten Zementen mit Wasser. Erste Hydrat und Ettringittbildungen setzen unmittelbar nach Wasserzugabe ein. Das bedeutet, dass jeder Partikel mit einem Reaktionssaum versehen ist, und auch ebensolche Partikel als unmittelbare Kontaktpartner hat. Dadurch verstärkt sich der Kraftanteil im Nahbereich der Partikelbindungen.

Von den Reaktionsprodukten geht innerhalb der ersten Minuten keine messbare Druckfestigkeit aus. Es findet jedoch eine sofortige Erhöhung der Partikeloberflächen statt, da diese Reaktionsprodukte die Zementpartikel mit einem Saum von ca. 1 10 µm belegen. Außerdem sind diese Reaktionsprodukte weich und werden sich bei auftretenden Bindungskräften aufgrund von Flüssigkeitsbrücken und van der Waals Kräften deformieren. Es kommt zur Bildung von deformierten Nahbereichen zwischen einzelnen Partikeln, in denen die van der Waals Kräfte deutlich höher sind als in steifen Partikelkontaktpunkten mit punktueller Wirkung.In dieser frühen Phase liegen noch keine chemischen Bindungen vor, die Druckfestigkeiten so übertragen können, wie beim jungen Beton oder beim Festbeton, vergleiche Abbildung 13.

Abbildung 128: Zugdehnungen bei w/f = 0,21 und drei unterschiedlichen Zementen

Außerdem ist die Wasserfilmdicke je cm2 Partikeloberfläche bei dem CEM I mit w/z=0,21 am Größten. Sie beträgt 0,43 µm, bei CEM II/A LL und CEM III jeweils 0,30 µm.Dieser Einfluss kann zu zwei Effekten führen: zum Einenkönnen kapillare Bindungskräfte über eine größere Reichweite hinweg wirken, da die Wasserbrücken zwischen den Partikeln ein höheres Volumen aufweisen und dadurch auch bei größeren Dehnungen noch Kräfte übertragen können, bevor sie abreißen. Zum Anderen dazu, dass Kraftkomponenten, die aus Reibung und Dilatation bestehen, und auch noch nach dem Überschreiten der Maximalkraft kurzzeitig auftreten können, in den Hintergrund treten, weil ein verhältnismäßig großer Wasserfilm die Oberflächen umgibt und die Reibungskomponenten wie ein Schmierfilm reduziert. Diese beiden gegenläufigen Effekte können dazu führen, dass der Weg bis zum Erreichen der Maximalkraft zunimmt, weil sich die ausgeprägten Wasserbrücken stark dehnen, bevor sie zerreißen. Nach dem Überscchreiten der Maximallast, d.h. auf dem rechten Kurvenast, fällt die Kraft rasch ab, weil Reibung und Dilatation geringer ausgeprägt sind.

Der CEM II Leim hat die größte Oberfläche im Leim. Die Reaktionsprodukte innerhalb der ersten Minuten werden aufgrund des niedrigeren Klinkeranteils geringer ausfallen, bzw. wird der Partikelanteil, der aus Kalkstein besteht, keine Reaktionsprodukte aufweisen. Der bei gleicher Zugkraft längere Weg weist auf einen höheren Anteil an Zugkräften durch Flüssigkeitsbrücken hin. Die Partikel des enthaltenen Kalksteinmehls weisen eine rauhe Oberfläche und gebrochene Kornform auf. Dadurch kann während des Lastanstieges ein Teil der aufgenommenen Zugkräfte auch durch die Umlagerung und Verkantung der Körner untereinander während des Weges erfolgen. Die Aufnahme von Kräften durch Dilatation bedingt generell einen größeren Weg, der sich ebenfalls nach dem Maximum der Zugkraft fortsetzt bei relativ langsam abfallender Zugkraft.

Dieser Mechanismus ist beim CEM III weniger ausgeprägt, der Weg bis zum Erreichen der Maximalkraft ist deutlich geringer, ebenso erfolgt der Kraftrückgang unmittelbar nach der Maximalkraft. Der Anteil der Partikel aus dem gebrochenen Hüttensand weist glasige, glatte Oberflächen und scharfkantige Partikelformen auf.Diese Hüttensandpartikel bilden, ebenso wie die Kalksteinpartikel des CEM II, keinen sofortigen Reaktionssaum aus. Daher ist der Anteil an Haftkräften mit kurzer Reichweite geringer. Bereits bei einem geringen Wegversagen dieses Haftmechnismen.Bedingt durch die sehr scharfkantigen Partikel können die Flüssigkeitsbrücken sich nicht in ihrer optimalen, gedrungenen Form ausbilden und bilden sich zwischen Partikeln aus, deren Relief dafür ungünstig geformt ist. Bedingt durch die sehr glatten Partikeloberflächen werden Reibung und Dilatation ebenfalls geringer ausfallen als bei dem CEM II, dessen Kalksteinpartikel durch den Mahlvorgang in der Zementmühle mikrorauhe Oberflächen aufweisen.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

Menü