2.4.1.2   Zementgranulometrie und -reaktion

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

Zement sowie alle anderen pulverförmigen Zusatzstoffe, die bei Betonen verwendet werden, bestehen aus Feststoffpartikeln unterschiedlicher Größe, sie sind polydispers. Mit Ausnahme von Flugasche und Mikrosilika werden alle Komponenten durch eine Kombination aus Brech  und Mahlvorgängen erzeugt, deren Ergebnis immer Partikel mit unterschiedlichen Korngrößen sind und keine nähreungsweisen monodispersen Partikel mit einer identischen Größe. Flugasche, die ohne weitere verfahrenstechnische Bearbeitung aus den Filtern von Steinkohlekraftwerken stammt, weist ebenfalls eine Kornverteilung auf und ist ebenfalls polydispers. Im Falle von Zement ist die Mahlfeinheit die Größe, mit der die Festigkeitsklassen des Zementes eingestellt werden. Je feiner ein Zement ist, umso höher ist seine normative Endfestigkeit.

Abbildung 51: Partikelananyse des CEM I 42,5 R aus den Hauptversuchen; alle Partikelanalysensiehe Anhang 1

Während früher der Blaine Wert herangezogen wurde, um eine schnelle und einfache Möglichkeit der Bestimmung der Zementoberfläche durchzuführen, sind heute Analysen mit Lasergranulometern,wie in Abbildung 51 dargestellt, üblich, weil dadurch Aussagen über das gesamte Kornband hinweg erhalten werden, wohingegen der Blaine-Wert lediglich eine Zahl in cm2 je Gramm darstellt, aus der eine mittlere Korngröße über Rückrechnung erhalten werden kann. Sie ist daher nicht in der Lage, die Unterschiede in der Partikelverteilung wiederzugeben. Auch führt das Wesen des Versuches als Durchströmwiderstand dazu, dass rauhere Körner, wie sie z.B. durch Adsorptionsbelegungen an Hüttensandpartikeln vorkommen können, einen höheren Widerstand verursachen als die eigentliche Korngröße [75].

Die in Kap. 2.4.2 beschriebenen Kräfte zwischen Partikeln werden maßgeblich beeinflusst durch die Flüssigkeitsverteilung, Größenverteilung und Oberflächenbeschaffenheit der Partikel.Auch die Zementreaktion während der ersten Phase der Hydratation ist hierbei von Bedeutung, ebenso sowie die Kornverteilung und beschaffenheit.Nach der Wasserzugabebeginnen die Hydratationsreaktionen. Dabei bilden sich als Hydratationsprodukte vorwiegend faserförmige Calciumsilicathydrate, Calciumhydroxid sowie in geringerer Menge Ettringit und Monosulfat. Diese Hydratationsprodukte werden auch als Zementgelbezeichnet. Ihre mittlere Kristallgröße beträgt nur etwa ein Tausendstel der mittleren Zementkorngröße und liegt damit imNanometerbereich.

Das Zementgel umgibt das Zementkorn zunächst nur in einerdünnen Schicht, wie in Abbildung 52in der Mitte dargestellt. Zurweiteren Hydratation diffundiert das Wasser zunächst durch dieäußere Gelschicht bis an den noch nicht hydratisierten Kern desZementkorns. Dort löst es einen weiteren Teil des Zementkorns.In dem dabei frei werdenden inneren Raum fällt ein Teil dergelösten Stoffe sofort als Zementgel aus. Die restlichen gelöstenStoffe diffundieren durch die bereits vorhandene Gelschichtnach außen und fallen dort an der Grenze Gelschicht/Wasser aus.

Abbildung 52: frühe Hydratationsprodukte (schematisch) in einer Flüssigkeitsbrücke [69]

Bei Betrachtungen der Robustheit von SVB und den Einflüssen auf Suspensionen zeigt Lowke [69] auf, dass die Bildung eines Netzwerks infolge kolloidaler Oberflächen Wechselwirkungenals physikalischer Prozess bereits innerhalb der ersten 10 Sekunden nach Wasserzugabe erfolgt, siehe oberer Teil von Abbildung 52.Gleichzeitig kommt es auf den Partikeloberflächen auch während der Induktionsperiode (bzw. dormanten Phase) der Hydratationsreaktion zur Nukleation von ersten Hydratationsprodukten. An den weichen Kontaktpunkten kommt es zunehmend zur Bildung von Brücken aus ersten C S H Phasen und anderen frühen Hydratationsprodukten wie bspw. Ettringit, siehe mittlerer Teil von Abbildung 52. Das zunächst auf kolloidalen Oberflächen Wechselwirkungen basierende Netzwerk wandelt sich nach und nach in ein auf der Verbrückung früher Hydratationsprodukte basierendes Netzwerk um. Diesem chemisch gesteuerten Prozess kann eine Dauer ca. 30 bis 100 s zugeordnet werden.Anschließend verstärkt sich die Struktur, bis die Prozesse des Strukturaufbaus und des Strukturabbaus mit einsetzender Erstarrung nicht mehr reversibel sind, unterer Teil der Abbildung 52. Im Falle von Suspensionen wird das Netzwerk zwischen den einzelnen, frei beweglichen Partikeln innerhalb der ersten 100 s verstärkt, ohne dass bereits dauerhafte chemische Bindungen zwischen den Partikeln zur Festigkeitsbildung beitragen [69].

Auch bei erdfeuchten Zementleimen wirken chemische Bindungen des Wasser mit dem Zement nicht an den interpartikulären Bindungskräften mit, weil diese Reaktionsprodukte erst zwischen 60 und 90 Minuten beginnen, Festigkeiten zu entwickeln, zu diesem Zeitpunkt sind erdfeuchte Betone und Leime bereits verarbeitet.

Im Hinblick auf die interpartikulären Wechselwirkungen in zementbasierten Suspensionen mit verschiedenartigen Stoffen kommt den frühen Hydrationsprodukten selbst eine maßgebliche Rolle zu. So zeigenUntersuchungen von Zingg [70], dass sich bereits unmittelbar nach Wasserzugabe eine dünne Schicht aus Ettringit und C S H Nadeln auf der Oberfläche der Zement und Zusatzstoffpartikel bildet. Bei Wechselwirkung zweier Partikel kommt es nun in weiten Bereichen der Oberfläche weniger zu einer Wechselwirkung der Partikeloberflächen selbst als vielmehr zur Wechselwirkung der auf der Oberfläche abgelagerten Hydratationsprodukte. Somit kann eine vergleichsweise dünne Schicht auf derOberfläche abgelagerter Hydratationsprodukte die Eigenschaften des gesamten Partikels dominieren. Da sich die Hydratationsproduktesowohl auf Zement als auch auf Zusatzstoffen ablagern können, gleichen sich die Oberflächeneigenschaften der stofflich unterschiedlichen Partikel einander an [69].

Abbildung 53: Partikel und Oberflächenverteilung eines Zementleimes aus feinem Zement nach6 minütiger Hydratation aus Zingg [70], gemessen mit Cryo FIB nt(Focused Ion Beam Nanotomography)

Sämtliche o.g. Forschungsergebnisse beziehen sich auf eine wassergesättigte Frischbetonmatrix, in der die einzelnen Festkörperbestandteile einschließlich der Zementkörner in der Wasserumgebung frei beweglich sind. Die untersuchten Konsistenzbereiche bewegen sich dabei in den Bereichen F2 bis F5.

Bei erdfeuchten, wasserarmen Mischungen stehen die Festkörperoberflächen im unmittelbaren Kontakt zueinander und der gegenseitige Einfluss der Oberflächenbeschaffenheit nimmt z.B. bei der Kraftübertragung und der Beweglichkeit der Festkörper an Bedeutung zu.

Bereits unmittelbar nach dem ersten Kontakt eines Zementkorns mit Wasser setzt eine kurze, aber intensive Hydratation ein [71]. Calciumsulfate gehen teilweise und Alkalisulfate nahezu vollständig in Lösung. Aus der Reaktion von Calcium- und Sulfationen mit Tricalciumaluminat bilden sich auf den Oberflächen der Klinkerpartikel kurze, hexagonal säulenförmige Trisulfatkristalle. Daneben kommt es, ausgehend von Tricalciumsilicat, zur Bildung von ersten Calciumsilikathydraten in kolloidaler Form. Innerhalb der ersten fünf Minuten treten auf den Zementkornoberflächen bereits Veränderungen der Beschaffenheit und der Größe der Gesamtoberfläche auf.

Czerny [72] gibt an, dass die spezifische Oberfläche des Zementsteins stets seinem Anteil an chemisch gebundenem Wasser entspricht. Werden bis zur völligen Hydratation 25 % Wasser chemisch gebunden, wächst die Oberfläche von ca. 3.000 cm2/g auf etwa 2.000.000 cm2/g an. Eine Menge von 0,5 % vom Zementgewicht an chemisch gebundenem Wasser nach beendetem Erstarrungsvorgang entspricht bereits einer spezifischen Oberfläche von ca. 40.000 cm2/g, also ca. dem zehnfachen der ursprünglichen Oberfläche.

Die Gelbildung beginnt bereits innerhalb der ersten 30 Sekunden. Durch Abrasionswirkung während des Mischprozesses können evtl. erste Gelphasen von den Zementpartikeln entfernt werden. Dadurch besteht für das Wasser eine bessere Möglichkeit, erneut eine Gelbildung einzuleiten und erst danach die Hydratation durch Diffusion durch die Gelschicht in Richtung Zentrum des Partikels fortzusetzen.

Abbildung 53 zeigt, dass bereits sechs Minuten nach Wasserzugabe sich sowohl die Kornverteilung selber in Richtung höherer Feinanteile verschoben hat, und außerdem die Oberflächensumme ganz erheblich angestiegen ist. Zingg führt dies darauf zurück, dass sich von größeren Partikeln die ersten Reaktionsprodukte abgelöst haben können und ihrerseits Partikelagglomerate bilden, die feiner sind als die Ausgangspartikel. Zusätzlich vergrößert sich die Gesamtoberfläche durch die auf den Oberflächen aller Partikelgrößen gebildeten Hydratationsprodukte. Über die Härte und die Festigkeit sowie die Verformbarkeit dieser Produkte liegen keine Angaben vor. Sie werden sich jedoch wesentlich weicher und verformbarer verhalten als trockene Zementpartikel.

Im Gesamtkollektiv aller Zementpartikel einer Verteilung verhalten sich nicht alle gleich. Bedingt durch die Mühlenatmosphäre innerhalb der Zementmühle kommt es zu einem inerten Verhalten der Partikelfraktionen <1µm [64]. Diese Partikel haben bereits mitder dort herrschenden Luftfeuchtigkeit reagiert, ihre Oberflächen sind bereits mit Hydratationsprodukten belegt. Dadurch bedingt verhalten sie sich bei der Zugabe von Wasser zum Zement inert, von ihnen geht nur ein sehr geringer Beitrag zur Festigkeitsentwicklung aus. Durch die bereits stattgefundene Hydratation ihrer Oberflächen sind diese anders strukturiert als die übrigen Partikel und mit erhärteten Hydratationsprodukten belegt.

Untersuchungen der Zementleimmikrostruktur mittels ESEM FEG (Rasterelektronenmikroskop mit Feldemissionskathode, das Untersuchungen bei geringem Unterdruck und in Wasserdampfatmosphäre ermöglicht) zeigen [73], dass mit zunehmendem Kaliumsulfatgehalt eine erhöhte Menge an langprismatischen Kristallen auftritt. Der größte Teil dieser etwa 2 10 µm langen und 0,2 µm dicken (0,5 1,0 µm breiten) Kristalle wird unmittelbar nach Zugabe des Anmachwassers gebildet und ist auch nach zwei Stunden Hydratation mittels ESEM FEG nachweisbar. Die typische Morphologie und Ergebnisse EDX spektroskopischer Analysen (energiedispersive Röntgenmikrobereichsanalytik) weisen darauf hin, dass es sich bei diesem Mineral um Syngenit handelt. In vorausgegangenen Arbeiten wurde bereits festgestellt, dass Syngenit eine typische Mineralneubildung der frühen Zementhydratation ist (Stark et al. 2001). Weiterhin wurde in den Zementleimen Ettringit in kurzprismatischer Ausbildung beobachtet. Im Vergleich zu Ettringit weist Syngenit eine 5 20-mal größere Länge auf und ist etwa 5-mal so breit [73].

Über die mechanischen Eigenschaften dieser sehr frühen Reaktionsprodukte sind keine Innformationen veröffentlicht. Es ist aufgrund der generellen, zugrunde liegenden chemischen Reaktion davon auszugehen, dass diese Reaktionsprodukte leicht verformbar sind und daher u.U. bereits unter dem Einfluss der wirkenden interpartikulären Anziehungskräfte zu Deformationen neigen können, die wiederum die Wirkung der Haftkräfte verstärken.

Laut Krell [64] beträgt die Dicke der Reaktionsschicht der ersten Minuten ca. 0,2 µm, sie hängt vom C3A Umsatz in Gew. % bezogen auf den jeweiligen C3A Gehalt eines Zementes ab.

Aus den bisherigen zur Verfügung stehenden Informationen über die Zementreaktion innerhalb der ersten Minuten nach Wasserzugabe folgt, dass in diesem kurzen Zeitraum bereits Änderungen auf den Partikeloberflächen und sogar in der Partikelverteilung eintreten, die Auswirkungen auf die Haftkräfte der Partikel untereinander ausüben werden. Sie sind –wie die Hydratationsvorgänge insgesamt abhängig von der Temperatur und der chemischen Zusammensetzung der Zemente sowie der Mahlfeinheit. Weil diese Vorgänge chemisch hervorgerufen werden, können mit den in Kap. 2.4.2 beschriebenen theoretischen Modellvorstellungen über die physikalischen Ursachen die Haftkräfte jedoch nicht exakt mit erfasst werden.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

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