2.4   Kraftübertragung zwischen Partikeln

Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische

Die Frage nach den Kräften, die zwischen Feststoffpartikeln wirken, wird in sehr ver schiedenen Disziplinen behandelt, wie z.B. der Bodenmechanik, der Schüttgutmechanik und der Partikeltechnologie bis hin zur Pharmazie bei Vorgängen der Pelletierung und Tablettierung, der Offset-Drucktechnik ebenso in der Lebensmittelchemie beim Granu lieren von z.B. Milchpulver, Kakao oder Kaffee, sowie in der Mikromechanik bei bewegli chen Komponenten wie z.B. Beschleunigungssensoren. Die Mikrosystemtechnik und Mechanik ist eine Erweiterung der Mikroelektronik um mechanische Sensor und Aktor funktionen, deren Genauigkeit durch Mikropartikel, Adsorbate und Oberflächenladungen beeinflusst wird [59].

Dabei beschäftigen sich die meisten Fragestellungen, damit, wie für die jeweiligen Anwendungen aus der Verfahrenstechnik, z.B. vom Pressen von Kohlenstaub zu Eierkohlen, dem Instantisieren von Saucen für Lebensmittel oder der Beweglichkeit von Filterstäuben von Großfeuerungsanlagen, die Partikel aneinander haften, d.h. mit der Haftkraft und ihrer Resultierenden, der Zugkraft, und wie diese Effekte entweder verstärkt oder verhindert werden können, d.h. gesteuert und vorhergesagt.Fragestellungen der Druckfestigkeit zwischen den Partikeln und ihren durch Herstellverfahren verfestigten, daraus hergestellten Produkten, sind in diesen Bereichen so gut wie nicht zu finden und nicht von Interesse.

Im Vergleich zur Schüttgutmechanik und Partikeltechnologie sind die theoretischen Ansätze aus der Bodenmechanik, die dem Bauingenieurwesen am Nächsten liegt, eher makroskopisch skaliert und setzen die Schwerpunkte auf physikalische Vorgänge der Reibung, Vorbelastung von Böden und der Kohäsion an vorwiegend quellfähigen, bindigen Bodenbestandteilen wie Ton.

Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie Annahmen treffen, unter denen das Haften, d.h. die Adhäsion, einzelner Partikel aneinander theoretisch beschrieben werden kann.

Weder in der Natur oder in der Industrie finden Vorgänge statt, bei denen Partikel entstehen, die so beschaffen sind wie in Abbildung 41. Die Kanonenkugeln in Monaco und die Bälle im „Bällchenbad“ eines Möbelhauses sind alle exakt gleich groß (monodispers), ideal rund und mit glatter Oberfläche ohne Rauhigkeiten. Im Falle des Bällchenbades sind sie außerdem meistens trocken.

Abbildung 41: Kanonenkugeln gleicher Größe in dichtester möglicher Packung, an den Kontaktpunkten verschweißt, Palastvorplatz Monaco; Bällebad mit ungeordneter Zufallspackung

Wie in Kap. 2.3.3 beschrieben, wurden in den wenigen, bisherigen Arbeiten über erdfeuchte Betone, die auch eine theoretische Annäherung an die Grünzug oder Gründruckfestigkeit enthielten und nicht nur experimenteller Natur waren, sehr starke Vereinfachungen vorgenommen. Wierig setzte voraus, dass alle Zementpartikel monodispers kugelig mit glatter Oberfläche und symmetrisch ausgebildeten Flüssigkeitsmenisken ausgestattet sind und lediglich Kapillarkräfte wirken sowie die Reibung und Verzahnung der Partikel untereinander.

Ähnlich wie bereits bei Wierig werden bei allen Untersuchungen von Haftkräften vereinfachende Annahmen getroffen und folgende Punkte mehr oder weniger präzise beschrieben,um Modelle für die Kraftübertragung zu entwickeln:

  • Liegen Partikel in ihrer Größe verteilt vor, d.h. haben sie eine Sieblinie, oder sind sie monodispers
  • Sind die Partikel rund oder kubisch oder beliebig geformt
  • Sind die Oberflächen der Partikel glatt oder sind auf ihnen Rauhigkeitserhebungen zu
    finden
  • Ist das Wasser an den Partikeloberflächen überall gleich verteilt oder konzentriert an den Kontaktpunkten
  • Sind die Partikeloberflächen starr oder verformbar
  • Welche Arten von Kräften werden an den Kontaktpunkten der Partikel übertragen
  • Welche Positionen nehmen Partikel zueinander ein, d.h. welche Packungsdichten und
    Modelle für die räumliche Packung werden zugrunde gelegt

Um ein vollständigeres Bild über die Vorgänge zu erhalten, die in erdfeuchten Zementleimgemischen dazu führen, dass Grünzugfestigkeit entsteht, werden zunächst die vorhandenen und bekannten Zustände in erdfeuchten Leimgemischen dargestellt.

Danach werden die Mechanismen der unterschiedlichen möglichen Haftkräfte vorgestellt und sowie Rechenansätze zur theoretischen Ermittlung der Zugfestigkeit zur Festigkeit von Partikelsystemen beschrieben. Diese wurden an nicht zementbasierten Partikelsystemen getroffen und stammen aus den Bereichen der Agglomerationstechnik, da die Betrachtungsebene über die Vorgänge an Zementpartikeln im Bereich der Zementchemie und Betontechnologie bislang überwiegend an Leimsuspensionen, d.h. in gesättigten Bereichen und nicht in Packungen oder Haufwerken stattgefunden haben.

Das Agglomerieren stellt nach [97] die Umkehrung des Zerteilens dar. Feine, einzelne Teilchen werden durch das Wirksamwerden von Bindekräften zwischen den Partikeln aneinander gelagert und gröbere Teilstücke erzeugt, die Agglomerate genannt werden.

Die ebenfalls als Agglomeration bezeichnete Anhäufung feiner Teilchen in Suspensionen zu Flocken wird an dieser Stelle nicht betrachtet, da dieser Vorgang für das Verständnis von Feststoffagglomeraten mit Festigkeiten gegenüber äußeren, mechanischen Beanspruchungen ohne Bedeutung ist.

Als Verfahrenstechniken, die Agglomerate erzeugen, also das Wirksamwerden von Bindekräften begünstigen, kommen die Aufbauagglomeration durch Abrollen der Partikelschüttung oder durch Mischbewegungen, die Pressagglomeration durch Aufgabe von erhöhtem Druck auf die Partikel und das Sintern in Betracht. Bei der Mischung und der Verdichtung erdfeuchter Betone finden also Aufbauagglomerationen und Pressagglomertionen statt.

Nachschlagen
Ermittlung der Grünzugfestigkeit erdfeuchter Zementleimgemische als Grundlage für die Optimierung der Produktion von sofort entschalten Betonwaren

Dissertation von
Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

vorgelegt Solingen Juli 2018

Veröffentlicht als Heft 25 in der Schriftenreihe des
Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Herausgeber
Der Geschäftsführende Direktor
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal

Fachgebiet
Werkstoffe im Bauwesen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Anders
Univ.-Prof. em. Dr.-Ing. Wolfram Klingsch
Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
Bergische Universität Wuppertal

Organisation und Verwaltung
Institut für Konstruktiven Ingenieurbau
Bergische Universität Wuppertal
Pauluskirchstraße 11
42285 Wuppertal
Telefon: (0202) 439-4039

© Dr.-Ing. Stefan Zwolinski

ISBN 978-3-940795-24-3

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